Unser Gehirn ist ein faszinierendes Ding. Ein echtes Multitool.
Und – man glaubt es kaum – es funktioniert ein bisschen wie ein Fahrstuhl.
Nicht, weil es uns durch die Gegend fährt, sondern weil es verschiedene Ebenen hat, zwischen denen wir hin- und herwechseln – oft blitzschnell. Je nach Situation steigen wir eine Etage tiefer … oder wieder nach oben.
Oberste Etage: Der präfrontale Cortex – der Denker in uns
Hier sind wir König*in.
Wir analysieren, planen, treffen kluge Entscheidungen.
Wir reflektieren, strukturieren, konzentrieren uns.
Kurz gesagt: Hier läuft unser Leben geordnet ab.
Doch wehe, der Sturm zieht auf – Stress, Überforderung, Kontrollverlust. Dann gerät das System aus dem Takt. Der Neurobiologe Gerald Hüther beschreibt diesen Zustand als Übererregung im präfrontalen Cortex.
Stell dir vor: Auf einem Marktplatz fangen plötzlich alle gleichzeitig an zu schreien – keiner hört mehr den anderen. Chaos. Die Folge?
Der Hirnfahrstuhl fährt ein Stockwerk tiefer.
Nächster Halt: Gewohnheiten & Rituale
Wenn das kluge Denken in Panik gerät, greifen wir auf Altbewährtes zurück: Automatismen. Muster. Gewohnheiten.
Vielleicht gehst du dann zum Kühlschrank – ohne Hunger.
Oder du schrubbst plötzlich hochkonzentriert das Bad.
Oder du schaltest auf Autopilot – freundlich nicken, weitermachen, funktionieren.
Das kann kurzfristig helfen. Aber wenn auch das nicht mehr reicht?
Der Fahrstuhl fährt weiter.
Noch ein Stockwerk tiefer: Kindheitsmuster
Willkommen in der Abteilung „Ich-als-Fünfjährige*r“.
Wenn selbst die Routinen versagen, greift unser System auf alte Verhaltensprogramme zurück:
Wütend werden
Still werden
Schmollen
Rückzug
Drama, Tränen, Türenknallen
Alles menschlich. Alles abgespeichert. Aber wenn selbst das nichts mehr bringt, hilft nur noch eins:
Der Fahrstuhl fährt weiter runter.
Unterste Ebene: Hirnstamm – unser Überlebensmodus
Jetzt sind wir ganz unten angekommen – im ältesten Teil unseres Gehirns.
Hier geht’s ums nackte Überleben.
Mehr nicht.
Drei Optionen stehen uns hier zur Verfügung:
Angriff
Flucht
Totstellreflex
Und das ist der Moment, wo nichts mehr „funktioniert“.
Wir schlagen um uns – verbal oder körperlich.
Wir fliehen – körperlich oder emotional.
Oder wir erstarren komplett.
Diese Erstarrung ist besonders heimtückisch: Voller Adrenalin. Voller Alarm. Äußerlich: nichts.
Wie Vollgas geben und gleichzeitig voll auf die Bremse treten.
Was passiert? Alles überhitzt.
Was uns wirklich hilft
Der erste Schritt ist Beobachtung.
Wenn wir wissen, wo genau wir im Hirnfahrstuhl stehen, können wir bewusster mit uns umgehen.
Und auch mit anderen – den Menschen, die plötzlich laut werden, dichtmachen oder in alten Mustern festhängen.
Verstehen heißt nicht, alles gutzuheißen. Aber es schafft Raum für Mitgefühl und Entwicklung.
Wenn du das nächste Mal im Stress bist, frag dich ruhig:
Auf welcher Etage meines Hirnfahrstuhls befinde ich mich gerade?
Und sei gnädig mit dir. Denn: Auch die klügsten Gehirne fahren manchmal Fahrstuhl.